Surreale Welt durch dicke Brillengläser
von Helen Lagger Das Schloss Spiez präsentiert mit der Ausstellung «Otto Tschumi. Surreale Welten» eine faszinierende Schau über den Berner Künstler, der das Groteske liebte.Veranstaltungsdaten
Ein Mann mit dickglasiger Brille und eine Frau verspeisen eine Kuckucks- uhr zur Teestunde. Diese surreale Szene ist tatsächlich so passiert und von Regisseur Markus Imhoof gefilmt worden. Der Mann im Film ist der Berner Künstler Otto Tschumi (1904–1985) und die Dame des Hauses seine Frau, die Tänzerin Beatrice Gutekunst. Der Film aus den 70er-Jahren läuft aktuell auf Schloss Spiez, das dem Künstler eine umfangreiche Ausstellung widmet. Die Kurator*innen Therese Bhattacharya-Stettler und Dominik Tomasik haben aus Leihgaben der Berner ART-Nachlassstiftung für Kunstschaffende und des Kunstmuseums Bern eine faszinierende Ausstellung konzipiert. Themen wie «Stillleben» oder «Tiere» strukturieren die Schau und geben Einblick in Tschumis surrealen Bilderkosmos.
«Es ist wahr, ich stehe bis zum Hals in Möglichkeiten der Phantasie, ich kann irgendetwas in die Finger nehmen, und schon wird’s zu Bildern», lautet ein Zitat des Künstlers von 1956. Was Tschumi damit meinte, wird etwa im Werk «Lui-même» (No.6) von 1940 sichtbar: Tschumi funktionierte kurzerhand ein Holzbrett, wie man es in der Küche zum Schneiden von Zwiebeln benutzt, in ein Selbstporträt um. Erkennen kann man den Künstler wie auch auf anderen Selbstbildnissen an seiner dicken, schwarzen Brille. Tschumi, der in einfachen Verhältnissen aufgewachsen war, absolvierte eine Ausbildung zum Schriftenmaler und Lithografen, die er abbrach. Autodidaktisch begann er in den 20er-Jahren, sich als Maler zu entwickeln, wobei er sich seinen Lebensunterhalt mit Auftragsarbeiten im Bereich Grafik verdiente. So konnte er etwa für die SBB oder für die Kunstbiennale in Venedig, an der er selbst 1960 die Schweiz vertrat, Werbemittel beziehungsweise Kataloge gestalten.
Schiffe und Moby Dick
Als junger Künstler schwärmte Tschumi für Paul Klee und Pablo Picasso, was in einigen kubistischen Stadtlandschaften deutlich wird. Mit seiner Übersiedlung nach Paris im Jahre 1936 wandte er sich dem Surrealismus zu. So lassen manche seiner Werke unweigerlich an Salvador Dalí denken: Traumbilder und Metamorphosen mit zerfliessenden Formen prägen auch Tschumis Kunst, dessen Humor in fast all seinen Werken durchscheint. Sein «Fliehendes Pferd» von 1943 ist an Groteske kaum zu überbieten. Hufeisen voran brennt dieser Gaul durch. Eine besondere Liebe hegte Tschumi auch für Schiffe und Wracks und den Roman «Moby Dick», den er illustrierte, mit einem zwar harpunierten, aber grinsenden weissen Wal.